SCHATTEN SCHLAGEN

Ein Ausstellungsprojekt in analogen und digitalen Raum von Studierenden der Fakultät Medien an der Bauhaus Universität Weimar zur Summaery 2022



Johanna Bauchspieß / Ngoc Anh Bui / Eleanor Heinemann / Lisa Haase / Marie Kling / Marie Krause / Sophia Müller-Naendrup / Alaina Nugnis / Melissa Schmidke / Leon Thomas / Paul Waldorf

Wir werden aufgefordert‚ über unseren Schatten zu springen, wir werden durch die Medien fast täglich mit dem Schatten des aktuellsten Großereignisses konfrontiert und begegnen regelmäßig den Schattenwürfen unserer Umwelt. Als Stufe zwischen hell und dunkel gehören Schatten keinem Extrem an und dennoch werden Schatten allgemein eher negativ konnotiert – nur für einige wenige stellen sie einen safe space dar.

In der abendländischen Kultur spielt der Schatten eine sich stets wandelnde Rolle: Von Platons Höhlengleichnis über die Findung der Zentralperspektive in der Renaissance bis zu der impressionistischen Befreiung des Schattens von der reinen Verdunklung, zieht er sich wie ein roter Faden die Kunstgeschichte.

In ihrem analogen und virtuellen Ausstellungsprojekt SCHATTEN SCHLAGEN widmen sich 11 Bachelor-Studierende der Medienkultur den allgegenwärtigen, scheinbar vertrauten und doch auch unbekannten Bereich Schatten und führen das Publikum anlässlich der Summaery 2022 im Fakultätsgebäude und im digitalen Raum unter www.schatten-schlagen.de in die erhellte Dunkelheit: Von realfilmischen sowie animierten über fotografische, malerisch-zeichnerische bis zu installativen Ausformulierungen reichen die multimedialen Beiträge – sie alle werden durch die Frage nach verschiedensten Lesarten des Phänomens Schatten geeint.

Eröffnung: Freitag, 15. Juli, 19 Uhr (Einführung: Alexander Steig)
Laufzeit (analog): Samstag, 16. Juli, 12 bis 20 Uhr und Sonntag, 17. Juli, 12 bis 18 Uhr
Laufzeit (digital): 24/7 www.schatten-schlagen.de


Ort: Raum 3.31
Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Medien (Bachelorstudiengang Medienkultur), Schwanseestraße 143, 99477 Weimar

Ein Projekt des BA Studiengangs Medienkultur, Fakultät Medien, Bauhaus-Universität Weimar

Grafik: Johanna Bauchspieß
Pressetext: Lisa Haase
Foto: Alaina Nugnis
Technik: Marie Kling, Sophia Müller-Naendrup, Johanna Bauchspieß
Digitales: Jonas Rieger, Alexander Steig
Leitung: Alexander Steig




Ngoc Anh Bui, LOSING LIGHT, Acryl auf Leinwand, 50 x 50 cm, 2022


Leon Thomas, ZEIT-GEIST, 5-teilige Fotoserie, versch. Maße, 2022


Melissa Schmidke, SCHATTENPROTOKOLL, Acryl auf Leinwand, 70 x 50 cm, 2022


Alaina Nugnis, SCHATTENMENÜ, Fotografie, 2teilig, je 42 x 30 cm, 2022



Lisa Haase, SCHATTEN SCHAFFEN, Mixed-Media-Installation, 2022

Marie Kling und Sophia Müller-Naendrup, PFLANZENTANZEN, Video-Performance (Loop: 01:33 Min.), 2022
Mitwirkende: Louisa M üller-Naendrup, Paul Hübner, Aristide Ochs, Pascal Schelper, Anna Kupski, Marie Kling, Sophia Müller-Naendrup
Musik: „Calling on You“ K48 (Paul Waldorf)

Marie Krause, EDGE), Stop-Motion-Video (Loop:00:33 Sek.), 2022

Johanna Bauchspieß, Eleanor Heinemann und Paul Waldorf, EINSCHLAG, Animiationsfilm (Loop: 00:35 Sek.), 2022


Einführungsrede von Alexander Steig

Sehr geehrte Gäste, liebe Studierende,

mein Name ist Alexander Steig, ich arbeite als Künstler und Kurator, bin ehrenamtlich Vorsitzender des Berufsverbandes Bildender Künstler:innen München und des Kunstraum München und als Lehrbeauftragter meines diesjährigen Werkmoduls SCHATTEN freue ich mich, Sie auch im Namen der künstlerisch-kuratorisch agierenden Student:innen zu deren Ausstellungsprojekt SCHATTEN SCHLAGEN begrüßen zu dürfen.

Aufgrund der Erdrotation geht die Sonne im Osten auf und lange vor Kopernikus’ Beschreibung eines heliozentrischen Weltbildes wurden Tag und Nacht spirituell verstanden und entsprechenden Stellvertretern göttlichen Waltens zugeordnet. In der nordischen Mythologie herrschen beispielsweise Dag und Natt – diese beiden großen Antagonisten ordnen seither das Leben des blauen Planeten. Schon das erste Schöpfungskapitel im Alten Testament verweist auf die Finsternis als Urzustand, dem – Gott sei Dank – durch Lichtwerdung kontrastreich begegnet worden ist. Gleichzeitig wurde hier die Helligkeit positiv konnotiert, wohingegen die Dunkelheit ferner- und weiterhin negativ assoziiert wird.

Die Beherrschung des Feuers brachte Licht in die lange Nacht der frühen Menschheit und neben seiner Funktion als Wärmequelle, Garhilfe und Schutz vor wilden Tieren mag Prometheus’ Dienst auch zur Erhellung des paläolithischen Geistes beigetragen haben, denkt man dabei an die kunstfertig erstellten Utensilien oder die Wandmalereien, die man in den Tiefen behauster Höhlen entdeckte. Aus Licht und Schatten von Gegenständen und Personen bestehen aber auch die Zutaten, die Platons Höhlengleichnis seither für unser Weltbild und unseren Erkenntnisgewinn so bedeutsam machen und das, wie Sie sehen, auch die Ideenmatrix einiger der hier präsentierten Beiträge bildet.

Heutzutage brennt in sogenannten Industrienationen elektrisches Licht im Überfluss, das tageszeit- und ortsunabhängige Orientierung ermöglicht. Doch der Siegfrieden über die Dunkelheit ist brüchig, der permanente Lichtkomfort kann ermüden, die Sehnsucht nach Schatten und sparsamer Lichtregie formt einen hohen Reizfaktor, dessen Attraktivität vielleicht am ehesten (neben der Architektur) in künstlerischen Arbeiten (Theater, Film, Foto, Malerei, Bildhauerei usf.) visualisiert wird.

Das Werkmodul SCHATTEN nun gab Einblick in aktuelle Verfahrensweisen, Strategien und Ansätze künstlerischen Schaffens, wie auch ins Ausstellungswesen, den Kunstbetrieb – Stichwort: kuratorisches Handeln – ergänzt um den Seitenblick auf Marktmechanismen und -macht, um das komplexe, interdependente und interdisziplinäre Feld zeitgenössischer Kunst näher kennen zu lernen. Das geschah theoretisch und eben auch praxisnah, wie Sie sich hier und heute überzeugen können. Die Studierenden entwickelten im Team ihr diskursives Projekt SCHATTEN SCHLAGEN, ausgehend vom Begriff des Schattens wie auch seinen Konnotationen, um eigene künstlerische Konzepte zu realisieren, also Arbeiten für diese abschließende Ausstellung zu produzieren. Die 11 Ausstellungsmacher:innen durchliefen dabei Prozesse künstlerischen und kuratorischen Arbeitens und Agierens und begleitender kommunikativer Vermittlungsstrategien, wovon der Pressetext, die Website, die das Projekt dauerhaft abbildet, die Einladungskarte und eine Ankündigung in der Thüringer Allgemeinen beredt zeugen.

Die diesjährige Summaery trägt den Titel: Wer weiß? Etwas bemüht kalauernd könnte hier die Antwort heißen: Wir, schwarz – und weiß! Aber was sehen wir? Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß und Farbiges, Licht und Schatten, wie eigentlich überall im visuellen Alltag; in den acht Ausstellungbeiträgen jedoch als dezidiert ästhetisierte Fragestellungen in medial unterschiedlichsten Ausformulierungen, die auch die, wie gesagt, Mehrfarbigkeit nicht scheuen. Versuchen wir einen raschen Rundgang und beginnen im Uhrzeigersinn:

Anh Buis Acrylbild LOSING LIGHT zeigt den Schattenriss einer Person, genauer, ein Brustbildnis inmitten vielfarbiger anthropomorpher Wesenheiten mit ähnlicher, gespiegelter Körperhaltung, vielleicht Gespenstern. Sehen wir eine Vereinzelungsmetapher, den Versuch des Individuums, sich äußerlich anzupassen, in der Masse aufzugehen, geht es um Orientierungslosigkeit im kunterbunten Medieninferno, um Aufmerksamkeitsökonomie oder Abgrenzungsversuche? Sehen wir das Schwarze Schaf, dass in fröhlicher Oberflächlichkeit seiner Umgebung die Alternative bietet, der dunklen Seelentiefe eine Qualität zuzuschreiben?

Die fünfteilige Fotoserie ZEIT-GEIST von Leon Thomas befragt, wie eingangs erwähnt, die Nachteile von zu viel Licht, hier: den Folgen anhaltender Sonneneinstrahlung und den daraus folgenden Aridierungseffekten. Die prachtvolle Sukkulente hat sich an extreme Hitze und Sonne, an Schattenlosigkeit angepasst, der schatten- und feuchtigkeitsliebende Farn zeigt schon braune Flecken, weitere Gewächse sind im Vergehen, ein Schatten ihrer selbst. Leon Thomas florales Ensemble dokumentiert die Folgen unseres Energiehungers. Unsere Nutzung fossiler Energieträger, aus lichthungriger Biomasse entstanden, sorgen für einen Klimawandel, dem sich die Natur nicht schnell genug anpassen kann. Die Schattenseite unseres industriell begründeten und begrünten Wohlstandes?

Als meditative Übung lässt sich das SCHATTENPROTOKOLL von Melissa Schmidke lesen. Mit schwarzer Acrylfarbe hat sie die Schatten unterschiedlicher Gegenstände im Verlauf eines Tages auf Leinwand übertragen, quasi protokolliert und fixiert sie dabei das Flüchtige seiner Erscheinung. Fast filmisch schreibt sich so Zeit in die Oberfläche des Bildes ein, werden wir Zeug:innen eines Ablaufs, dessen Zeichenhaftigkeit sich zwar nicht übersetzen lässt, aber als abstrakte Komposition über das Visuelle hinaus einen stillen und doch kontrastreichen Klangraum entfaltet.

Die zweiteilige Fotoarbeit SCHATTENMENÜ von Alaina Nugnis richtet den Blick auf die dunkle Seite industrieller Lebensmittelproduktion. Der Schatten, der über der Massentierhaltung und ihren Folgen liegt, wird auf Produzent:innenseite im Kleingedruckten versteckt. Doch kommen die Bedingungen, Probleme und Folgen dieser Produktion immer wieder ans Licht. In Nugnis Arbeit permutiert eine Scheibe Wurst kontrastreich vor dem Inkarnat eines menschlichen Oberkörpers in die Zusatzstoffe, die sie enthält. Der provokante Wellnessbackground führt das Sujet ins Absurde, hier wird mit den Mitteln des Humors, der Groteske agiert, weil das Dogma der Belehrung, der Erkenntnis, wie wir aus dem Höhlengleichnis erinnern, bei uns nicht leicht verfängt.

Vor dem Hintergrund des berühmten Gleichnisses können wir uns auch der Mixed-Media-Installation SCHATTEN SCHAFFEN von Lisa Haase nähern. Es hallt der Ausstellungstitel nach, nur thematisiert die Künstlerin hier die Verschattung von Fakten seitens der BILD-Zeitung und anderen (Boulevard-)Medien, gibt dem passiven Moment der Schattenbildung eine aktionistische Note, auch leichte Absurdität klingt an, eine fast homonymische Alliteration und Assonanz, die ganz klassisch, mit Licht und Schatten operiert, ob an der Wand oder als Buchstabenkabinett auf den Zeitungsausdrucken daneben.

In der filmischen Gemeinschaftsarbeit PPLANZENTANZEN von Marie Kling und Sophia Müller-Naendrup können wir den Schattenrissen von Personen folgen, sind wir sehend, wie auch im o. g. Gleichnis auf den Stuhl gefesselt und erkennen die Choreografie von Verhaltensweisen, die sanktioniert oder willkommen sind. Die Schattenseite unseres Wohlstands ist der Wohlstandmüll. Dieser Konsummüll droht uns zu ersticken, Abhilfe kann nur eine Wertschätzung der Natur, ein Weniger zu Plastik gewordenes Erdöl, ein Mehr an Grün schaffen. Wenn diese Erkenntnis sich in der platonschen Höhle durchsetzt, braucht es fast keinen Schritt mehr heraus ins Licht.

Mit ihrem Stopmotion-Video EDGE) bringt uns Marie Krause in eine kontruktivistisch-dystopische Umgebung. Schwarze Quader fallen tetrisgleich hinab, die Einförmigkeit im eher düster angelegten Umfeld, das an Abhängigkeiten und formelle Anpassung gemahnen mag, wird jedoch gesprengt durch einen Kreis, der sich nicht einfügen will. Ein Querschläger, der an bzw. an dem die scharfen Kanten (die „edges“) abprallen, eine Störung der Ordnung, wie sie kreative Prozesse, ob gedanklich oder praxisnah, erzeugen, eine Störung, die Veränderung verspricht und somit einen utopischen immerwährenden, fast sisyphosschen Anlauf zu nehmen scheint.

Ein Querschläger ganz anderer Art trifft den Schatten einer Person, die zuvor einen leeren Unraum schreitend durchmisst. Diese Figur im schwarzweißen Animationsfilm EINSCHLAG von Johanna Bauchspieß, Eleanor Heinemann und Paul Waldorf vollzieht eine Drehung, der ihr Schatten nicht folgen mag, er entwickelt eine Autonomie und diese Loslösung von seinem oder ihrer Schattengeber:in hat fatale Konsequenzen: seine Auslöschung. Das kafkaeske Sujet weiter zu enträtseln, würde der Wirkweise dieser Arbeit, aber auch der der anderen sieben Beiträge wenig dienen. Und, wie Sie sehen, treten die Arbeiten zu- und gegeneinander in den Dialog, finden sich formale und inhaltlich Annäherungen, Erweiterungen und Abgrenzungen bei aller Hinwendung zum Schatten. So mag die hier zu machende sinnlich-intellektuelle Kunsterfahrung den Beitragenden wie auch Ihnen, liebe Gäste, in Anlehnung an den Titel als langer Schlagschatten folgen.

Diese Annäherung darf Ihnen als eine erste und mögliche Lesart unter vielen den Zugang erleichtern, aber, und das empfehle ich Ihnen, kommen Sie mit den 11 Künstler:innen ins Gespräch, alle sind vor Ort. So schließe ich mit einem Dank an die Modulteinehmer:innen, den frisch gebackenen Künstler:innen und Kurator:innen für die sehr gute Zusammenarbeit, an Frau Seeber und Frau Seidler und Herrn Dr. Frisch so wie alle weiteren Personen der Fakultät Medien, die hier unterstützend tätig gewesen sind.

Vielen Dank!



Bauhaus Universität Weimar, Fakultät Medien (Bachelorstudiengang Medienkultur), Schwanseestraße 143, 99477 Weimar

 

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